17.03.1993
(Laubengang – keine Zeit zu verlieren)
Joseppe spannt seinen Bogen, sein Gesicht verharrt in der Stellung angespannten Daseins. Abwartend versucht er sein Ziel zu treffen, abwartend die Windstille, abwartend die schläfernde Ruhe des Zieles, seine Lust das Objekt zu durchbohren, es im innersten der Seele zu zerstören.
Die Obstbäume blühen, Joseppe denkt mit Unbehagen an den Winter. Die ewig eiskalten
Stürme, die matschigen Straßen. Er denkt an die eingehüllten Menschen mit den ewig
frierenden Augen. Vorbei, vorbei der Frost. Nun blüht es hier im Garten und in seinen
Augen spiegelt sich der Glanz ungezählter Freuden wieder.
Letztes Jahr, Erinnerungen werden wach, ihre Augen streiften fragend den kleingewachsenen
Apfelbaum mit den prallen Früchten, erstaunt über diese Kühle, den Tod und die Süße der
Äpfel. In allem die Verlockung wo das Wissenswerte zweifelhaft erscheint.
Das Holz im Kamin knistert, spielende Glühwürmchen beleben die Nacht. Janette und
Joseppe schauen in das züngelnde Junifeuer. Von der Obstschale auf dem Tisch und der rauchigen Luft von verbrannten Holz geht ein schwängernder Geruch aus.
Der schwarze Koffer steht noch immer abgestellt an der Laubentür, gezeichnet das zusammengebundene Korn, das dem Koffer etwas geheimnisvolles verleiht. Die gepanzerte Rüstung lässt die Gegenstände im Dunkel.
Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Hauptkommissar Klaus blättert in seinen Unterlagen. Seine Augen verweilen auf dem vor ihm liegenden Foto. Unergründlich der Blick in ihren Augen, das Nichtauffinden ihres Körpers, eines Lebenszeichens von ihr.
Etwas im Schatten der Vergangenheit, verwischt, weggespült bei einem gewaltigen Aufruhr der Elemente. In seinen Gedanken versunken betritt Frau Specht das Zimmer. Mit ihrer hohen schrillen Stimme rüttelt sie Hauptkommissar Klaus aus seinen Überlegungen. „Na, gehen sie doch einmal pünktlich nach Hause. Die Unterlagen lege ich ihnen auf den Schreibtisch.“
Frau Specht ist eine 52-jährige geschiedene Frau und kinderlos. Ihr Mann hat sie wegen ihrer Unfruchtbarkeit verlassen. Um wieder in das Berufsleben einzusteigen bewarb sie sich beim Bundeskriminalamt als Sekretärin. Das ist nun schon 15 Jahre her – Zeit, Bilanz zu ziehen.
Mit den vielen Gedanken die Klaus durch den Kopf gehen verlässt er das Büro, wirft noch einmal einen Blick auf den Plan an der Wand, nimmt seine gestrickte blaue Jacke vom Stuhl, wirft sie mit einem Seufzer über die Schulter und geht langsamen Schrittes durch die verzweigten Gänge des Lebens, mit den vielen kleinen Lichtern.
Um von seiner meistens bis spät in die Nacht reichenden Arbeit auszuspannen, unternimmt er jedes Jahr mit seinen Freunden für ein paar Wochen ausgedehnte Segeltörns. In dieser Zeit hat man den Eindruck einen Lebemann und Frauenheld zu erkennen. Doch das Gefühl täuscht, den Annäherungen von Frauen weicht er mit Zurückhaltung, einer gewissen Art Schüchternheit aus.
In den schönen Stunden der Ruhe, dann wenn das Schiff im Hafen vor Anker geht und die Sonne ihre warmen Strahlen gerade noch die Haut berührt; das dunkle Rot des Himmels das Wasser blutrot einfärbt, sitzt er gern allein.
Diese samtweiche Katze, anschmiegsam, verführerisch. Dieser schwarze Koffer mit dem sie in enger Verbundenheit lebte.
Sehr langsam hatten sie sich genähert, sehr sanft hat er ihren Schoß berührt, seine Lippen über ihre Augen, den Wangen in ihren geöffneten Mund vergraben.
Manchmal kommt es ihm vor, dass ihn die Erinnerungen bis heute ausfüllen. Die Sommer waren heiß und die Winter extrem kalt mit ihr. Wie verzwirnte zweifarbige Wolle waren ihre Seelen, so verschieden und doch so gemeinsam. Sie sprachen nicht viel, einzig ihre Liebe, die Ungesagtes öffnete.